Vintage Objektive Biotar 58, Primoplan 58
Vintage Objektive, oft gleichermaßen Altglas genannt erfreuen sich seit geraumer Zeit zunehmender Beliebtheit.
Über die Gründe für diesen Hype lässt sich nur spekulieren, Langeweile, etwas Neues? Die mittlerweile aufgerufenen Preise sprechen für sich.
Das Biotar 58 von Carl Zeiss Jena und das Primoplan 58 von Meyer Optik Görlitz sind dem zweifellos hinzuzurechnen.
Wir haben 5 alte M42x1 Objektive im Schrank. Unsere schönsten Stücke sind ein Meyer Optik Görlitz Primoplan 58 f/1.9 und ein Carl Zeiss Jena Biotar 58 f/2, die beide in Benutzung sind.
Warum überhaupt Vintage-Objektive benutzen? Weil es geht!
Das mag eine blöde Antwort sein, ist trotz und allem die schlichte Wahrheit. Könnten diese alten manuellen Linsen nicht mit einer modernen, digitalen Kamera gekoppelt werden, würden sich ausschließlich Analog-Fotografen damit beschäftigen und den Hype gäbe es nicht.
Ist es der Reiz des Unbekannten, Nostalgie oder Gewohnheit, die uns zu alten Objektiven greifen lässt? Sind es unter Umständen Erinnerungen an gewisse Eindrücke von bejahrten Foto-Abzügen, bestimmte “in-looks” auf Insta-Tok? Schwer zu beantworten…
Helios 44-2M an D810
Bei uns war es schlichte Neugier, befeuert von speziellen Bildeindrücken, die wir auf vielen Internet-Plattformen gesehen haben. Das hatte uns, ganz nebenher, zur analogen Fotografie zurückgebracht.
Dirk wollte unbedingt Ersatz für seine analoge Praktica, die ihm 1987 am Strand von Pisa aus dem aufgebrochenen Auto gestohlen wurde. Ebendiese Praktica hatte lange ein M42-Schraubgewinde für die Objektive. Das ist ein weiteres, unendliches Thema; keine Angst, nicht in diesem Beitrag.
Also M42. Was gibt es denn alles für Objektive mit dem „Bajonett“? Zunächst bin ich über die Russenlinse Helios 44M gestolpert. So ein Ding musste her und die gibt’s wie Sand am Meer.
Da wir nicht sooo oft mit Film fotografieren, wäre es doch schick, die an eine unserer Nikons zu stecken. Ohh, dazu brauchte man einen Adapter. Tja, da hatten wir den Salat. Eine Nikon DSLR ist eine der schlechteren Plattformen für Fremdglas bzw. Altglas. Die Ursache ist das exorbitante Auflagemaß von 46,5 mm, nur getoppt von Contax N.
Das Auflagemaß ist der Abstand zwischen der Sensor/Filmebene und der Auflageebene des Objektives. Um ein M42 Objektiv mittels Adapter an Nikon F zu montieren, braucht man einen mit Korrekturlinse, so der Wunsch besteht, bis unendlich fokussieren zu können; soll es geben.
Ohne diese Korrektur liegt der Schärfepunkt nicht auf der Film/Sensorebene.
Aber zurück zum Helios 44-2M, gibt es doch um dieses Objektiv eine Geschichte.
Das Helios ist eine Kriegsbeute aus dem 2. Weltkrieg, sowohl die optische Konstruktion als auch bis 1955/56 (vermutlich) das verwendete Glas.
„Geklaut im Studio zur schiefen Linse“ oder ähnlich, sollte auf jedem Exemplar stehen, analog zu geklauten Gläsern oder Besteck aus einem Hotel.
Kurzer Exkurs, sorry.
Biotar 58 f/2
Das Biotar 58 von Carl Zeiss ist ein Planar-Typ. Berechnet wurde es 1936, 1938 kam es auf den Markt. Ganz nebenher, ohne Herrn Schott, der das Wissen um die Chemie und Eigenschaften des Glases hatte, gäbe es all diese Objektive und vermutlich Carl Zeiss als optischen Betrieb nicht.
Nach dem Krieg wurden die Objektive bei Carl Zeiss Jena hergestellt.
Wir hatten das große Glück, ein schwarzes Biotar 58 f/2 mit 17 Blendenlamellen zu erwerben. Nach seiner Seriennummer wurde es vermutlich 1955 hergestellt. Und… das verwendete Glas der Elemente ist Vorkriegsware. Erkennbar ist das an winzigen, schwarzen Einschlüssen in den Linsen. Um 1956/57 war dieses Rohmaterial verbraucht, “demontiert” oder beides.
Das Gehäuse des Objektives wurde während seiner langen Produktionszeit mehrfach überarbeitet. Die Zahl von 17 Blendenlamellen verließ man, aus Kostengründen, ebenso.
Primoplan 58 f/1.9
Das Primoplan erschien 1938 von Meyer-Optik Görlitz und stand/steht mit Brennweite und Lichtstärke in direkter Konkurrenz zum Biotar.
Gebaut wurde es bis 1959. Die Nachkriegsmodelle sind aus Aluminium.
Bei Meyer-Görlitz denken viele ganz gewiss sofort an das berühmte Trioplan 100 f/2.8 mit seinem legendären Bubble/Onion Bokeh. Dieses hat ein Cooke Triplet. Im Primoplan sind hingegen 5 Linsen verbaut. Der Konstruktion liegt gleichermaßen das Cooke Triplet zugrunde.
Vintage an Nikon
Wir haben das ausprobiert, mit dem Helios und dem Primoplan.
Fazit: Kann man machen, ist aber Schei…e.
Nee, wir empfanden die Bedienung ehrlich gesagt als zu kompliziert, LifeView, Reinzoomen usw., dann die unbekannte Bildveränderung durch die Zwischenlinse am Adapter. Das war nix. Für derartige Versuche sind die Kameras von Sony oder ähnliche DSLM mit Sicherheit besser geeignet.
So, an dieser Stelle muss ich eine Korrektur anbringen. Gerade habe ich einen Fotoblog gelesen und der brachte mich auf eine Idee. In meinen Artikeln über die Nikon F4 und die manuellen Nikkore hatte ich das Fokussieren mittels der Pfeile und des Punktes unten links im Sucher beschrieben. Geht das auch mit dem Adapter für M42x1 an der D850?
Schnell in den Garten und ausprobieren. Es funktioniert. Damit werden sich unsere Vintage-Schätzchen wieder an die DSLR gewöhnen müssen. Manchmal hat man schon echt einen kompletten Block im Kopf. Danke Jana Mänz. ( 11.06.2022)
Vintage an Leica M10
Zum Zeitpunkt unserer Experimente mit den alten Objektiven hatten wir keine M10. Nachdem sich das geändert hatte und ein Adapter von Novoflex M42x1 auf Leica M angeschafft war, wurden diese Altgläser wieder verlockend. Die Entwickler bei Novoflex haben sogar darauf geachtet, die Gewindegänge so zu konstruieren, dass die korrekte Seite des Objektives nach dem Anschrauben oben war. Es gibt andere…
Ein guter Freund gab uns den dezenten Hinweis, wie sich im LifeView der Zoom aufrufen lässt. Wir/ich lesen möglichst nie Handbücher…
Achtung, es gibt keine Kopplung mit dem Messsucher. Das ist bei M42 Objektiven nicht vorgesehen. Die Kopplung für das Leica M Bajonett gab es bei Leica meines Wissens seit der M3 im Jahr 1954.
Die neuen (alten) Objektive von Meyer Görlitz für das M-Bajonett haben ebenfalls keine Kopplung.
Für analoge M-Kameras sind die M42-Teile somit kaum geeignet. Dort kann man sich nur mit Zone-Focusing behelfen. Es soll wahrhaftig Experten geben, die das hinbekommen. Wir sind es definitiv nicht.
Ein paar Worte zu Meyer-Optik Görlitz, gegründet 1896, nach dem Krieg bald zum VEB Pentacon dann zum Kombinat VEB Carl Zeiss Jena gesteckt und 1991 von der Treuhand abgewickelt. Hoffentlich ist der jetzige Neustart-Versuch unter dem Dach der OPC Optics in Bad Kreuznach lange erfolgreich. Die alten Konstruktionen werden mit modernen Mitteln und einem schicken Äußeren wieder produziert. Dabei wurde an zahlreiche marktgängige Bajonette gedacht. Die Preise liegen zwischen 900 und 1000€.
Was macht/machen diese Objektive anders?
Nun, sie sind alt, unvollkommener. Computer zur Berechnung unterschiedlicher Brechung der Lichtstrahlen verschiedener Wellenlängen gab es damals nicht. Die Entwicklung der Glassorten und Beschichtungen dürfte seit 1936 ebenso maßgebliche Fortschritte gemacht haben.
Diese Unzulänglichkeit verleiht ihnen einen ausgesprochenen Reiz. Das ästhetisch Saubere, fast Sterile fehlt. Der Mikrokontrast ist nicht ausgeprägt. Sie vignettieren, nicht nur weit offen. Der Schärfeabfall zum Rand ist bei Offenblende deutlich sichtbar. Farbabweichungen am Rand, Farbsäume, Verzeichnungen, alles reichlich vorhanden.
Manche bezeichnen diese Eigenschaften als Charakter, für andere sind die Teile Glasmüll, weil sie modernen, klinisch sauberen Anforderungen nicht entsprechen. Ein Porsche Spyder 550 von 1955 ist kein alltagstaugliches Auto und dennoch übt er eine Faszination aus und wird zu astronomischen Preisen gehandelt. Die Objektive bewegen sich gottlob nicht in dessen Preisregionen.
Für uns ermöglichen es hauptsächlich die beiden genannten Linsen, Bilder zu erzeugen, die mit modernen Rechnungen vermutlich nicht möglich sind oder für die die höheren Weihen der Bildbearbeitung erklommen sein müssen.
Nur zum Vergleich ein Bild mit dem 50mm Summicron M
Summicron 50mm
Offenblendig sind sie zickig, was Gegenlicht, bzw. schräges Licht ins Objektiv angeht. Beide können Bubble-Bokeh erzeugen und sind in der Lage, Objekte freizustellen.
In manchen Situationen erzeugt namentlich das Primoplan ein beginnendes Pig-Vomit-Bokeh, oft „fälschlich-liebevoll“ Swirly-Bokeh genannt. Gewiss fotografieren solch höflichere Menschen als wir desgleichen Gartenzwerge und geparkte Autos.
Beide erzeugen runde Bälle um Lichtquellen jenseits der Schärfeebene, die sogar diesen leicht helleren Rand haben. Beim Trioplan (besitzen wir nicht) ist dieses Phänomen absolut extrem, teilweise so, dass man sich fragt, ob die Bubbles oder etwas anderes das Hauptmotiv sind.
Aber, um sicher solche Bildwirkungen erzeugen zu können, mussten wir üben und wiederholt probieren. Dankbar ist dabei eine LED-Lichterkette in einem nicht allzu hellen Raum. In der Landschaft wurde es deutlich schwieriger, geeignete Lichtsituationen zu finden. Wie gesagt, da hilft nur ausprobieren, in der Natur und nicht verzagen. Wir garantieren für Misserfolge. Umso größer ist die Freude, wenn irgendwann erstaunliche Bilder entstehen.
Würden wir damit einen ganzen Urlaub fotografieren? Definitiv nein. Jeder würde denken, wir hätten sämtliche Zeit fette Tüten geraucht oder wären in einer Rosamunde-Pilcher-Zeitschleife beim Earl von Bioplan in Görlitz-Cornwall im Jahre 1975 gefangen. Ein Einsatz als Stilmittel, definitiv ja.
Die Biotare starten (Stand Juni 2022) bei ca. 150€. Für ein kleines Schwarzes, mit 17 Lamellen können es schnell 400€ + sein.
Das Primoplan geht bei 250€ los.
Im Grunde genommen ist das für ein Ausprobieren zu teuer. Unser Rat ist daher, sich eins auszuleihen, bevor eine so große Anschaffung für ein 60+ Jahre altes Objektiv getätigt wird. Alternativ lassen sich die Meyer-Görlitz Varianten neu erwerben und kosten dann um die 1000€.
Fazit
Vintage Objektive sind für uns eine willkommene Abwechslung zu den modernen Linsen und deren eher klinischem Bild-Look.
Selbstverständlich haben sie Unzulänglichkeiten, wie z.B. die Neigung zu Flares, chromatischen Aberrationen und einer deutlichen Vignette, wenn sie weit offen benutzt werden. Ebenso darf man bei relativ offener Blende keine Schärfe bis an die Bildränder erwarten.
Im Gegensatz dazu bieten sie die Möglichkeit, ihre Fehler bewußt als Gestaltungsmittel einzusetzen.
3 Comments
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Frank Liebke
Es macht wirklich Spaß diese Blogs hier zu lesen. Hab mich Bolle amüsiert, am meisten bei den gartenzwergen und parkenden Autos. Und denke dabei an bestimmte Menschen… 😀
Danke für diesen schönen Bericht und die tollen Fotos dazu.
Viele Grüße
Frank
dirk
Danke Frank,
die Gartenzwerge und parkenden Autos habe ich geistig bei dem Herren geklaut, der das “swirly-bokeh” als “Pig-Vomit-Bokeh” bezeichnet. Ich möchte das ungern ins Deutsche übersetzen.
Unser Motto lautet immer uns selbst nicht ständig todernst zu nehmen. So kommen wir eher mit einem Schmunzeln durch’s Leben und wir denken, daß es bei euch Beiden ähnlich ist.
Viele Grüße
Dirk